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Unser Weg über die Biskaya - Teil 1: Nicht wie erhofft…

Die Biskaya gilt für die meisten Segler als Traum und Alptraum zugleich, ist sie einerseits das "Tor" nach Südeuropa und andererseits für schlechtes Wetter, starke Stürme und extremen Seegang berüchtigt. Wir wollen uns ihr stellen.

Wir sitzen also in Kilmore Quay, checken täglich die Bedingungen und halten Ausschau nach einem passenden Wetterfenster für die 4 bis 5tägige Querung. Sollte sich aber in nächster Zeit kein stabiler Hochdruckeinfluss etablieren, haben wir einen Plan B: kleinere Fenster von 1 bis 2 Tagen nutzen, um uns stückweise nach Süden zu hangeln. Von Irland aus käme für uns dann sogar das Archipel der Scilly-Islands als Option in Frage, was uns eigentlich ausgesprochen gut gefällt. Außerdem hätten wir gar nichts gegen frische Austern und ein Glas kühlen Weiß- oder Roséwein in Frankreich einzuwenden.


Grundsätzlich sind wir zeitlich gut aufgestellt, denn die Biskaya ist eigentlich erst für Mitte August anvisiert. Da aber das Wetter in Schottland und Irland nicht mitspielt und uns jetzt wirkich nach Sommer ist, gehen wir das "Projekt Biskaya" eben jetzt schon an - ohne uns zu stressen.


Zunächst verlassen wir Dublin und zotteln über Arklow nach Kilmore Quay. Hier ist der perfekt Absprung - sowohl für die Scillys oder die Bretagne als auch für den direkten Weg nach A Coruña/Spanien. Nach ein paar schönen Tagen in Kilmore Quay werfen wir letztlich unseren ursprünglichen Plan der Biskaya-Direktüberquerung doch über den Haufen, weil es nur ein Zeitfenster von 48 Stunden für uns gibt. Wir setzen Segel und steuern die Bretagne an. Mit achterlichem, moderatem Wind sind wir bis zu den Scilly-Inseln flott unterwegs, wo wir dann in den frühen Morgenstunden auf das Regattafeld des Fastnet-Race treffen. Ab jetzt ist auch stärker Augenmerk auf die Berufsschifffahrt zu richten. Wir nähern uns dem Ärmelkanal und etliche Verkehrstrennungsgebiete - so eine Art Autobahn für Berufsschiffer - liegen um uns herum und müssen passiert werden. Die Wellen haben in den zurückliegenden 24 Stunden das Boot und seine Crew ordentlich durchgeschaukelt. Wir spüren wie Körper und Geist durch die permanente Bewegung des Bootes gefordert werden. Wie auch bei der Nordseepassage haben wir mit Tabletten vorgesorgt, so dass uns nur die Müdigkeit in den Gliedern steckt und uns der Sinn nach einfacher Nahrung steht. Bananen, Toastbrot, Mineralwasser, mal ne 5-Minuten-Terrine oder ein Jogurth mit Erdnussbutter stehen auf dem Speiseplan. Bestimmte Lebensmittel, wie Kaffee, Walnüsse, Erdbeeren, Tomaten, schwarzer Tee oder Alkohol, sind für uns auf See tabu, da sie den Histamin-Spiegel heben und damit Seekrankheit begünstigen. Der zweite Tag einer solchen Passage war bisher immer der anstrengendste. Nach 24 Stunden befällt mich meistens ein mentaler Durchhänger. Mir geht dann alles auf die Nerven, ich fühle mich schlapp und energielos und würde eigentlich auch gern mal ein Tränchen verdrücken. Hinzu gesellen sich dann noch Kopfschmerzen, die ich allerdings auf den Koffein-Entzug schiebe, denn sie treffen auch Boris. Diesmal hilft er mir über mein Tief hinweg, indem wir eine Runde Trivial Pursuit in der 1990er-England-Edition spielen, bevor er schlafen geht und ich das Steuer übernehme. Das funktioniert ganz gut und ich kann mich nun auf meine Wache konzentrieren. Das kulinarische Highlight des Tages sind dann abends die Tortellini mit Parmesan und Butter. Erfahrungsgemäß kommt die Energie am dritten Tag wieder. Zu diesem Zeitpunkt sind wir gut ins Wachsystem gekommen, fühlen uns energetischer. Ab da wird es leichter und wir sind im Flow.


Doch diesmal sind wir ja "schon" nach 48 Stunden an der französischen Küste und erreichen mit entschleunigten 3 Knoten Fahrt über Grund (wir haben Strömung gegenan) in den Morgenstunden Camaret-sur-Mer. Besser hätte unsere Ankunft nicht getimt werden können, denn in diesen Minuten legt das große Regattafeld der "Tour du Finistere en voile" im Hafen ab und die Seeschwalbe findet schnell einen Platz zum Rasten. Zufrieden betrachten wir die morgendliche Szenerie der Hafenpromenade und nach einem kurzen Nickerchen schlendern wir zum nächsten Supermarkt. Dort merken wir sehr deutlich, dass wir doch einige kulinarische Defizite über die letzten zwei Monate aufgebaut haben. Ich stürze mich auf frisches Obst und Gemüse - und auf's Weinregal. Packe Käse, Lachs und Crêpe in den Korb. Sogar frischen Hummer und Austern gibt es hier! Doch die dürfen erstmal da bleiben. Euphorisiert stehe ich nun breit grinsend in der örtlichen Bäckerei und freue mich wie ein Schnitzel über das erstandene Baguette. Nur wenige Minuten später liegt alles auf dem Frühstückstisch und unter vielen "Oh"'s und "Ah"'s und "ich liebe Frankreich" tauchen wir ein in unser neues Kapitel...


Update: So wie sich die Großwetterlage im Moment darstellt, müssen wir uns wohl noch etwas in Geduld üben. Einen größeren Schlag Richtung Spanien zu machen bleibt uns erst einmal verwehrt. Also machen wir das Beste daraus und genießen das Leben in Frankreich mit kürzeren Etappen. Zumindest ist immerhin der Regen nun wärmer. Und die Hoffnung bleibt, dass die Sonne für die Extraportion Sommer bald bei uns anheuert.


Fortsetzung folgt...

*Abwettern: In stürmischer See auf ein weiteres Vorankommen verzichten und das Schiff nur noch so halten, dass es nicht in Seenot gerät. (Quelle.: https://www.segeln-lernen.de/segellexikon-laufen.html)

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