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Das Meer ist keine Landschaft, es ist das Erlebnis der Ewigkeit.*

Zwei weitere Tage haben wir in Thyborøn, an der Westküste Dänemarks am Ende des Limfjords, auf das richtige Wetterfenster gewartet. Es ist ein kleiner, rauer Ort, geprägt vom Fischfang, an dessen Strand wir in diesen stürmischen Tagen die Wucht der See schon deutlich spüren können. Wir sind geduldig. Ruhen uns aus, kochen und backen vor, proviantieren noch einmal Frisches auf. Alles was im Boot umherfliegen kann, wird weggepackt. Wir schnacken mit anderen Seglern. Einige davon wollen auch über die Nordsee. Die nächsten Tage, wenn der Wind nachlässt...


Ab Morgen ist für eine Woche moderater Ostwind vorhergesagt. Ausreichend Zeit für die Strecke von 420 Seemeilen (ca 780 km). Wir checken mehrmals täglich die Vorhersagen. Dann ist die Entscheidung getroffen: Samstag 9:00 geht's los. Eine letzte Pizza auf der Dachterrasse der Seglerküche und früh ins Bett. Bis ich in den Schlaf finde, dauert aber dann doch. Die Gedanke kreisen...


Und dann ist er da. Der Moment, in dem wir die Leinen loswerfen. Es kribbelt vor Aufregung, Vorfreude und Anspannung im ganzen Körper. Wie fühlt sich die Nordseewelle an? Wie wird sich unsere "Seeschwalbe" darin bewegen? Wird der Wind so bleiben wie vorhergesagt? Was ist mit Seekrankheit? Doch es bleibt keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ab dem Augenblick des Ablegens, wenn die Leinen und Fender verstaut sind, sind wir im Hier und Jetzt. Die Küstenlinie hinter uns verschwindet langsam. Und dann noch ein kleines Highlight beim Blick zurück - wir sehen das schwarze Segel eines der Ocean Race-Boote und entscheiden, dass auch das als "wir haben sie auf ihrer Tour um die Welt getroffen" zählt.

Dann richten wir wieder den Blick nach vorn. Vorn ist Westen. Die Wegpunkte sind im Plotter - also der elektronischen Seekarte - und auf Navionics gesetzt und wir gehen zur Routine über. Das bedeutet, dass wir uns von nun an alle vier Stunden abwechseln. Einer hat frei und kann in dieser Zeit vor allem eins tun: schlafen. Der andere hat während seiner Wache das Geschehen auf dem Wasser im Blick, passt den Kurs gegebenenfalls an und stellt die Segel ein, wenn sich die Bedingungen ändern. All das können wir weitestgehend vom geschützten Deckshaus allein machen, was wir sehr zu schätzen wissen. Es ist warm, windgeschützt und sicher. Wenn es aber doch nötig ist, dass einer von uns raus an Bord muss, kann der andere jederzeit geweckt werden. Das ist der Deal. Steuern übernimmt weitestgehend der Autopilot. Wir sind gespannt, wie er sich in der Welle verhalten wird. Schnell kommen wir mit dem Rhythmus klar und nutzen die Freiwachen hauptsächlich zum Essen und Schlafen. Im Salon haben wir aus der Couch eine Koje gemacht, die tief im Schiff liegt und so den wenigsten Bewegungen ausgesetzt ist, im Gegensatz zu Bug und Heck. Die Tageswachen genieße ich sehr. Draußen ist nicht viel los auf der Nordsee, die Sonne scheint, ich schaue auf die Weite des Meeres und höre meistens Podcasts. Nachts ist es schon schwieriger nach vier Stunden aufzustehen und wach zu bleiben. Da ist das Seglerleben dann nicht besonders glamourös.



Beim Thema Seekrankheit lasse es nicht darauf ankommen und nehme noch vor Abfahrt eine Tablette ein. Am ersten Tag werde ich das weitere dreimal tun. Am zweiten Tag nur noch zweimal und am dritten Tag hat sich mein Körper so an die Bewegungen gewöhnt, dass ich keine weitere Tablette brauche, mir nicht schlecht wird und ich auch wieder Lust am Essen habe. Ich spüre die körperliche Belastung der täglichen 24-Stunden-Achterbahnfahrt trotzdem. Der Appetit ist reduziert, ich trinke viel Wasser, fühle mich erschöpft, schlafe sofort in meinen Freiwachen ein. Schlaf ist wichtig in dieser Zeit und hilft enorm, sich zu aklimatisieren.


Am Morgen des zweiten Tages zum Ende meiner Wache tauchen plötzlich Delphine neben dem Boot auf! Mit einem lauten "Delfinääää" wecke ich Boris und wir schauen den Tieren zu, wie sie neugierig neben unserem Boot herschwimmen und darunter hindurchtauchen. Sie sind so groß und schnell. Ein unfassbares Erlebnis! Sie sind uns sooo nah, dass ich das Gefühl habe, sie berühren zu können. Ich bin so überwältigt, dass mir die Tränen in die Augen steigen. 15 Minuten bleiben sie bei uns. Danach falle ich glücklich und todmüde in die Koje.

Doch das soll nicht das einzige Highlight des Tages bleiben. Schon in meiner nächsten Wache höre ich ein deutliches Schnauben neben dem Boot und ein großer schwarz glänzender Körper mit Rückenfinne taucht neben dem Boot auf und verschwindet wieder in den Wellen. Das ist kein Delfin. Das sind zwei Wale! Das gibt es doch nicht!

Sie tauchen noch ein paar Mal auf, schauen, was wir da so veranstalten und lassen uns dann auf der Nordsee wieder allein. Genau für solche Moment machen wir das.

Der Wind hat im Laufe des dritten Tages dann soweit nachgelassen, dass ausgebaumte Genua und Großsegel in der Welle nicht mehr stehen. Also ziehen wir unseren Joker und setzen den Parasailor. Und er enttäuscht uns nicht. Im Gegenteil. Stabil steht er trotz Welle, das Boot liegt ruhiger und er bringt uns die nächsten Stunden vorwärts. Und dann gegen Mitternacht müssen wir auch ihn bergen. Der Wind ist jetzt völlig gestorben und wir werden die letzten Stunden diese Törns leider nur noch motoren. Als ich zwei Uhr meine Wache antrete, kann ich die ersten Lichter der schottischen Küste sehen. Auf dem AIS sind um uns herum ein paar Fischerboote zu sehen, aber alle weit genug entfernt.

Die schottische Küste hüllt sich derweil in ihr Nebelgewand und nur ab und zu bekommen wir ein kleines Stück davon zu sehen. Meer und Himmel haben ein einheitliches Grau angenommen, so dass der Horizont gänzlich verschwindet. Wir klarieren uns telefonisch ein und reservieren in der Inverness Marina einen Liegeplatz. Ein Gewitter hat sich noch angekündigt und überlegt es sich zum Glück dann doch noch anders und zieht von dannen, so dass wir überglücklich am Dienstagabend festmachen und uns standesgemäß erstmal einen Whisky genehmigen. We made it!


Das Wachsystem macht sich nun bezahlt. Wir sind fit und nach einer Dusche tauchen wir direkt ins schottische Nachtleben ein. Unser erster Weg führt uns in einen Pub, in dem uns der Wirt mit "Hey folks!" begrüßt und uns erstmal eine kleine Bierauswahl auf den Tisch stellt. Nur so wüssten wir schließlich, welches uns schmeckt. Das deftige Essen ist jetzt genau das Richtige. Im nächsten Pub gibts schottische Livemusik mit Dudelsack, Geige und Gitarre. Die Stimmung ist ausgelassen. Freudestrahlend sind wir uns einige, dass wir genau hier und jetzt richtig sind. Nach einem weiteren Bier und einem kleinen Stadtbummel fallen wir sehr glücklich und zufrieden in die Kojen.


Haben wir das wirklich geschafft? Ja, haben wir. Verrückt, oder?!



*Zitat Thomas Mann

142 Ansichten7 Kommentare

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7 Comments

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sabineerfurth
Jun 22, 2023

Es ist ein wunderschönes miterleben und pustet mich aus meinen Alltag … Dankeschön dafür. Ich wünsche Euch weiterhin so wunderbare Momente und Abenteuer. …was für eine Reise

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Es freut uns von Herzen, unsere Erlebnisse teilen zu können!

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Guest
Jun 21, 2023
Rated 5 out of 5 stars.

liebe Claudia, lieber Boris,

danke für das Teilen eurer Erlebnisse, so wunderbar beschrieben, echt und mitfühlbar. Ich bewundere euren Mut diese Reise zu tun. Freue mich auf weitere Berichte. Alice💋

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ladies.foerst
Jun 20, 2023
Rated 5 out of 5 stars.

So klar, so bildhaft geschrieben. Toll! So schön, dass ihr uns mitnehmt.

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Claudia Ritter
Jun 21, 2023
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Danke! Das von DIR zu hören ist ja fast ein Ritterschlag 😉

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Guest
Jun 20, 2023

Lieb alles daran. Well done!!

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Claudia Ritter
Jun 21, 2023
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Es freut mich, dass es dir gefällt!

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